Jan Köchermann
Tunnelsystem 2
Jan Köchermann baut Schächte. Inspiriert durch Unterführungen und Tunnel im städtischen
Raum befreit er das architektonische Motiv von seiner eigentlichen Funktion als Übergang
und Verbindung und rückt es als Ort selbst ins Zentrum der Wahrnehmung. Köchermanns
Skulpturen sind begehbar und führen den Betrachter häufig in eine Risikozone: Mal endet
der offene Schacht mehrere Meter über der Elbe, mal kann man ihn nur durch einen Sprung
aus dreieinhalb Meter Höhe auf eine am Boden liegende Weichbodenmatte verlassen. Seit
einigen Jahren beschäftigt den Künstler auch die Dimensionsverschiebung: Seine Modelle
von verwahrlosten Wohnzimmern, Kellern und – natürlich – Unterführungen lenken den Blick
auf Un-Orte privater und öffentlicher Architektur.
Die Groß-Installation "Dead End Heedfeld" verbindet verschiedene Aspekte von Jan
Köchermanns Arbeit zu einem Gesamtorganismus, einer Art absoluten Apparatur, die Ilya
Kabakovs Vorstellung der "totalen Installation" entspricht: Sobald der Betrachter eingetreten
ist, hat er den Ausstellungskontext in mehr als konkreter Hinsicht verlassen, er befindet sich
an einem dritten Ort zwischen Kunst und Realität, in einem subjektiven Labyrinth. Der
Eingangschacht bedient sich urbaner Zeichen – Neonröhren, Kachelwände – und führt ins
Zentrum der Skulptur: Ein von oben beleuchteter Innenhof, der trotz aller architektonischen
Härte durchaus sakrale Anmutung besitzt. Hier sieht sich der Betrachter mit sieben
Schachteingängen konfrontiert, deren Ausgang und Zweck er nicht einzuschätzen vermag.
Er muss die Entscheidung treffen, welchen Weg er wählt, ohne zu wissen, was ihn am Ende
des Weges erwartet: Jeder Eingang appelliert an seine Neugier und produziert eine
Verheißung. "Mini-Spektakel" erlebt er dort, wo er am Ende des Ganges auf einen dunklen
Teich trifft, in dem sich eine leuchtende, auf den Kopf gestellte Hochhausstadt spiegelt. Oder
dort, wo er sich am Fuße einer Kellertreppe wiederfindet, der Boden ist bedeckt von einer
schwarzen Flüssigkeit, in der ein geheimnisvolles, stacheliges Wesen erscheint und wieder
verschwindet. "Krakerts Keller" existiert auch als Modell, hier blickt der Betrachter von oben
auf dasselbe Szenario – in "Dead End" ist er auf mysteriöse Weise in den Keller
hineinversetzt worden.
Magie und Entzauberung liegen bei Jan Köchermann dicht nebeneinander, immer wieder
werden Erwartungen auch unterlaufen. So verspricht die Lichtinszenierung in einem anderen
Schacht Spektakuläres, mündet dann aber schlicht in einer Sackgasse. Ein anderer Gang
führt den Betrachter auf eine Empore und lässt ihn die Konstruktion von "Dead End" plötzlich
von außen betrachten: Das, was innen als nahezu perfekte skulpturale Erzählung
daherkommt, erweist sich nun als trashige Kulisse, die man vielleicht als Rhizom-Struktur
identifizieren könnte, der man allerdings wenig Verzauberungspotential zutraut.
Alles ist eine Frage der Entscheidung bei Jan Köchermann. Lässt man sich ein? Welchen
Weg wählt man? Macht man in der Kunst eine Erfahrung, die auch anderswo anzuwenden
ist?
"Dead End Heedfeld" wird zur Metapher für das Leben an sich, die Installation kratzt am
existenziellen Sagenwollen, zieht sich dann aber immer wieder in sich selbst zurück. Als
Modul-Konstruktion ist sie außerdem ins grenzenlos Erweiterbare zu denken: In
Köchermanns Entwurf "Weltgetriebe Dorf" docken sich ans Zentrum viel größer gedachte
Strukturen an – funktionale Module, zum Beispiel, die reales Leben innerhalb ermöglichen
würden. Damit vollzieht der Künstler den Schritt zu utopischen städteplanerischen
Konzepten, wie sie u.a. von Constant oder Yona Friedman formuliert wurden.
Dagrun Hintze, im Katalog „Lost places – Orte der Photographie“, Hamburger Kunsthalle
2012.
Dead End Heedfeld
Holzkonstruktion, verschiedene Medien, LOST PLACES, Galerie der Gegenwart, Hamburg, 2012
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